Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass das Finanzamt nicht automatisch als informiert gilt, wenn steuerrelevante Daten zwar elektronisch abrufbar, aber nicht in der Steuerakte gespeichert sind. Die verlängerte Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung kann daher auch dann greifen, wenn das Finanzamt die Daten technisch hätte abrufen können, dies aber nicht getan hat.
Hintergrund
Ein Ehepaar wurde gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Die Ehefrau erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, weitere Einkünfte gab es nicht. Für die betreffenden Jahre reichten die Eheleute zunächst regelmäßig Steuererklärungen ein, später jedoch nicht mehr. Das Finanzamt forderte sie nicht zur Abgabe weiterer Erklärungen auf und schloss die Bearbeitung der Steuerfälle für die Streitjahre weitgehend ab (sogenannte 95 %-Grenze).
Da keine Steuererklärungen mehr eingereicht wurden, erließ das Finanzamt Schätzungsbescheide und setzte Einkommensteuer sowie Verspätungszuschläge fest. Die Eheleute legten Einspruch ein und klagten erfolgreich vor dem Finanzgericht. Das Finanzamt legte daraufhin Revision beim BFH ein.
Entscheidung
Der BFH gab dem Finanzamt Recht. Entscheidend war, ob das Finanzamt im maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich über die für die Steuerfestsetzung wichtigen Informationen verfügte. Dabei stellte der BFH klar:
- Kenntnis des Finanzamts:
Das Finanzamt gilt nur dann als informiert, wenn die relevanten Daten in der Papierakte oder der elektronischen Akte gespeichert sind. Daten, die lediglich auf elektronischen Speichern abrufbar sind, aber nicht automatisch in die Akte übernommen wurden, gelten nicht als bekannt. - Festsetzungsfristen:
Die reguläre Frist zur Festsetzung der Einkommensteuer beträgt vier Jahre. Bei Steuerhinterziehung verlängert sich diese Frist auf zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre. - Zeitpunkt der Steuerverkürzung:
Bei unterlassener Abgabe der Steuererklärung tritt die Steuerverkürzung spätestens dann ein, wenn das Finanzamt die Bearbeitung der Steuerfälle im Wesentlichen abgeschlossen hat (95 %-Grenze).